Bücher




Wo geit das hi, wo me vergisst?

Cosmos Verlag 2009


ISBN-13: 978-3-305-00435-5
ISBN-10: 3-305-00435-5




Die Presse zum Buch

Beginnen wir doch gleich mit dem Text, der der Sammlung den Namen gegeben hat.


S. 60
Chinderfrage

Mami, weisch du,
warum si mängisch so lang warte,
bis si der Räge wider abstelle?

U warum isch ds Wasser blau zum Schwümme
u durchsichtig zum Trinke

U warum chan i uswändig schnuufe,
ou wen i schlafe?

u wie chöme die Lüt eigetlech i mi yne
won i znacht i de Tröim gseh?

Säg einisch: Werum het es gäng so vil Idiote
uf der Strass, we der Papi fahrt, u fasch kener,
we du am Stüür bisch?

Wieso
sy d Zeje chürzer als d Finger?
isch das, will si soweni dörfe mache?

Heisst
Ds Papier Papier, will der Papi
so vil dervo bruucht?

Und
bin ig ietz kes UrgrosChing meh,
wo d Urgrossmama gstorben isch?

Mama, säg
Wo hei d Sunneblueme im Bode Platz gha
u wär het se nächär so hööch ufegstosse?

U wetti d Böim nid mängisch
am nen angeren Ort hi loufe?

Wo geit das hi, wo me vergisst? Chunnt’s irgendwo wider
use u cha’s de öpper angers bruuche?

u was faat dert aa, wo der Himel ufhört
hinger de letschte Stärne?


Wie diese Fragen mitten aus dem Leben gegriffen sind, so sind es viele Texte des 1938 geborenen Liedermachers, Troubadours, Schriftstellers und Kolumnisten Fritz Widmer. Er lebt heute in Bremgarten bei Bern. Dass er Kinder und Enkel hat, beweisen nicht nur die Kinderfragen, sondern auch Überlegungen, wie sie etwa im Gedicht „Gonfitüre ar Türfalle“ zum Ausdruck kommen.


S. 78 Seamus O Neill

Gonfitüre ar Türfalle

A der Türfalle
isch chläberigi
süessi Gonfitüre gsi.
Aber i ha der Erger,
wo i mir ufgstige isch,
abegschlückt,
wil i a dä Tag ddänkt ha,
wo de die Türfalle
glänzig u suber wird sy
u die chlyni Hand
nümme da


Zusammen mit Mani Matter und Jacob Stickelberger, aber auch gleichzeitig mit dem Berner Schriftsteller Kurt Marti, hat Widmer die Mundart als Mittel wieder entdeckt, um Beobachtungen und Gefühle in unsere angestammte Sprache zu fassen und mit der Kraft dieser Sprache den Gefühlen einen neuen, ungewohnten Ausdruck zu verleihen. Vorbei die Zeit der süsslichen Heimwehgedichte, die eine heile Welt vortäuschen wollten. Widmer zeigt die Welt, wie sie ist, mit unseren heutigen Sorgen und Freuden.


S. 27
Septämberaabe im Dorf

Im Weschte non e letschte Räschte Aaberot.
Paar Meitli üebe konzentriert a Zigarette.
Der Vatter schmirglet i der Wärchstatt a sym Boot, 
u d Giele säge, was si täte, we si wette.

E Bäiker brämset u massiert de syner Chnöi,
e letschte Tschoger schnopset dür ne Muggeschwarm.
U bi de Giele git's es Glächter un es Gschrei
u d Meitli rücke neecher zäme, gä sech warm.

U d Muetter sitzt am Bett, verzellt em Ching e Gschicht
vomene Zwärgevolch i Hütte hööch uf Böim.
U ds Ching wird ruehig, stuunet über ds ganze Gsicht
u übrem Bett, da schwäbe scho die erschte Tröim.

Der Vatter singt vergnüegt vo Bärge und vo Taau,
u ds Aaberot wird langsam aabedunkublau.


Da ist Platz für Zigarette und Heimwerker, für Biker und Jogger, aber auch für das, was glücklicherweise seit jeher geblieben ist: Eine Mutter, die dem Kind vor dem Einschlafen Geschichten erzählt und ein Vater, dem ein altes Lied aus der Jugendzeit einfällt.
Fritz Widmers Mundarttexte befassen sich mit ganz verschiedenen Gebieten. Sie reichen vom Urknall bis zur modernen Pharmaindustrie, von der Fremdwörterei bis zu magischen Wörtern, von der Kindheit bis zum Alter, vom Liebesgedicht bis zum Witwer, der von der bösen Gattin erlöst ist. Es steckt sehr viel Lebenserfahrung und Lebensweisheit in den Texten drin. Neben allen Gefahren, die der Liebe drohen, zeigt er, dass sie auch gelingen kann.


S. 45
Sonett vo de Müntschi

Das isch es Lied für die, wo d Müntschi hei erfunge
u üs no sovil hei z erfinde übrig gla:
Erfinge, was me alls no, ömu we me sech ma,
cha mitenanger aafa, vo Liebi ganz dürdrunge.

Es Müntschi cha ja strychl, cha safte oder chlepfe,
cha huuche oder ruusche, cha wild sy oder süess,
uf Lippe oder Ouge, Buuchnabel oder Füess
u so fasch ändlos wyter u zwüschinn Aate schöpfe.

De git's die bsundre Müntschi, wo no meh usprobiere,
mimöösle u gygämpfle u glüntschle voller Luscht,
die sydesametsanfte voll Gheimniszouberchuscht,
wo ganzi Melodiie u Gschichte chöi ufrüere.

Es Müntschi isch e Bsuech vo eir Seel bi ren andre,
es Gä u Näh u Frage: Wei mer zäme wyter wandere?


Sehr gelungen sind die zahlreichen Übersetzungen von Gedichten aus der Schriftsprache und aus fremden Sprachen. Da ist der Mönch des 9. Jahrhunderts, der zwischendurch lieber der Katze zuschaut als Texte kopiert. Der Barockdichter Paul Fleming wirkt plötzlich nicht mehr verstaubt. Und die Gedichte schwedischer und irischer Autoren wecken Lust nach mehr. Man staunt, wie ein solcher Text plötzlich in urtümlicher Kraft zu strahlen beginnt. Es ist eine Leuchtkraft, die uns beim Lesen des Gedichts in fremder Sprache entgangen wäre, weil es sehr gute Kenntnisse braucht, um in einer Fremdsprache allem Mitgemeinten auf die Spur zu kommen. Selbst bekannte Operntexte erhalten in der Mundartfassung Fritz Widmers einen neuen Glanz. Manchmal wünschte man, den Originaltext daneben zu sehen, um die Leistung Widmers noch besser würdigen zu können.
Der Autor führt den Lesenden den Reichtum der Berner Mundart eindrücklich vor Augen. Im Gedicht „Di ganzi Wält isch ei Theaterbüni“ (nach Shakespeare) schreibt er über die frühe Kindheit:


„ zersch düderle u gränne mer u chötzle
u lan is schöössele u buttele.
De stogle mer u gwungere dür alls
Was um üs ume isch, u scho gly raue
U moffle mir, we öppis üs nid passt.“ (S. 68)

Man versuche, einen solchen Text adäquat in der Schriftsprache wiederzugeben! Reizvoll ist der Prosatext „Im Pub z Strandhill“ (98), wo eine alte Irin in ihren Erinnerungen kramt.
Schliessen möchte ich mit dem bekannten Gedicht aus dem 15. Jahrhundert, das Fritz Widmer mit seinen eigenen Gedanken erweitert:


S. 62
Wohär u wohi?

I chume, i weis nid wohär
i läbe, i weis nid wi lang, 
i fahre, i weis nid wohi,
's verwungeret mi, dass i so fröhlech bi.

u wüsst i, wohär dass i chume,
u wär mir dert gseit het: Chasch gah!
De seit ig ihm Danke für alls, won i sider
erläbt un erfahre ha.

U wüsst i, wohi dass i fahre
u was dert alls wartet uf mi, 
de fragt i mi glych, isch das ds Ändi oder
geit's wyter, no anderswo hi?

Was hätt i dervo, wenn i wüssti
wiso dass i so fröhlech bi?
Es längt, dass i mi cha verwundere
u stuune, drum chan i's la sy.

I chume i weis nid wohär,
und i bi, i weis nid was,
i fahre, i weis nid wohi,
's verwunderet mi, dass i so fröhlech bi. 


Heinrich Boxler



Fritz Widmer hat schon im ersten Programm der Berner Troubadours 1965/66 Übersetzungen skandinavischer und amerikanischer Lieder gesungen. Die Mischung von eigenen und nachgedichteten Texten prägt noch heute sein Schaffen. Das neue Buch enthält poetische und sachliche, besinnliche und spielerische, eigene und fremde Geschichten, Gedichte, Berichte. Das Rätseln, Fragen, Mutmassen gehört ebenso zu den Texten wie die überraschende Gedankenspinnerei oder das Schildern von ungewöhnlichen Situationen.

Was Fritz Widmer bei den Texten längst verstorbener Dichter anregt, ist das, was sich gleich geblieben ist: Freude, Witz, Liebe, Glück, Sehnsucht, das Durchhalten in schwierigen Lagen, das Suchen nach einem festen Platz, nach Geborgenheit im Getriebe der Welt. Eine der wunderschönen Nachdichtungen, das Gedicht eines irischen Mönchs aus dem 8. Jahrhundert, steht am Anfang des Buchs.



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Hermann Hesses Großvater

insel taschen buch 3216


ISBN 3-458-34916-2
ISBN 978-3-458-34916-7




Vorwort des Herausgebers  (Ausschnitt)



“Dieser feurige, ebenso enthusiastische wie burschikose Jüngling, dessen Lebenslust und Lebensmut auch eine kindlich vertrauensvolle Frömmigkeit umfaßte, ist der Arzt, Wohltäter, gelegentlich auch Tyrann einer kleinen Stadt in Estland und eines weiten Umkreises mit seinen herrschaftlichen Gütern geworden...Ich habe als Schüler in Maulbronn noch ein paar Briefe von dem damals 89-jährigen bekommen. Sein Leben zu erzählen würde ein ganzes Buch fordern." 

Dies schreibt Hermann Hesse 1960 über seinen baltischen Großvater. Im Band 12 (Autobiographische Schriften)  der Sämtlichen Werke des Dichters versteckt sich unter dem Titel “Ein paar Erinnerungen an Ärzte" die vierseitige Skizze “Großvater Hesse". Sie enthält eine kurze Zusammenfassung der hier erstmals veröffentlichten Memoiren, die er kurz zuvor gelesen hatte. Vieles über ihn wußte er auch von seinem Vater, Johannes, welcher der einzige Sohn aus der ersten Ehe des baltischen Staatsrates und Kreisarztes war. Anderes kannte er aus den Tagebüchern seiner Mutter, die er 1934 zusammen mit der Schwester Adele herausgegeben hatte. Sie enthalten lebendige Schilderungen eines Aufenthalts in Estland im Jahre 1876.

Die originale Lebensbeschreibung des Großvaters ist eine mehrere hundert Seiten lange Schilderung in der alten deutschen Handschrift. Der Arzt von Weißenstein zeichnete sie 1863 für seine dritte Frau Adele und seine Kinder auf. Das Manuskript ist nicht leicht zu lesen, schon wegen der vielen Abkürzungen, dann aber auch wegen der unbekannten Familien- und Ortsnamen sowie zum Teil ungewohnter grammatischer Verknüpfungen und deutschbaltischer Wörter, die heute kaum mehr verwendet werden.
Diesen Text las Hermann Hesse in der gekürzten Fassung eines Typoskripts von etwa 160 Seiten. Nicht klar ist, wer diese maschinengeschriebene Fassung angefertigt hat. Vielleicht Adele Hesse. Sie ist das einzige der Geschwister des Dichters, das den Großvater noch persönlich kennenlernte. Sowohl das handschriftliche  Original als auch das Typoskript befinden sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach.

Interessant ist, was in der Transkription alles verändert wurde. Unter den Streichungen fallen besonders die langen Aufzählungen von Verwandten und Bekannten auf, die man besuchte, denen man schrieb oder an die man sich erinnerte. Für die dritte Frau und die Kinder des Verfassers war dies gewiß eine Entdeckung und rief Erinnerungen wach an die Geschichten ihrer eigenen Eltern und Großeltern. Uns Heutigen fallen höchstens noch Familiennamen auf, von denen wir wissen, daß sie einmal im Baltikum vorkamen: Von Manteuffel, Ungern-Sternberg, Uexküll, Bergengruen und andere.

Bei der editorischen Arbeit an dieser Chronik stand ich daher vor allem vor der Entscheidung: Was ist noch lesenswert? Was ist historisch interessant, was psychologisch? Was ist lediglich pittoresk oder nett und einfach aneinandergereiht und trotzdem zu belassen? Nicht so leicht fielen die Entscheidungen bei der häufigen Erwähnung oder sogar Anrufung Gottes mit den entsprechenden Bibelzitaten. Die Wechselfälle des Lebens wie Krankheit, Trennung, Vertreibung, Tod, Depression, Wahnsinn: sie alle lagen für Carl Hermann Hesse noch ganz in Gottes Hand; der Umgang mit dem Schicksal war eine seltsame Mischung aus Fatalismus und Hoffnungsjubel, aus  Ergebung und  Wiederaufrichten. Ein Beispiel dafür die Stelle über den Tod Linas, Carl Hermann Hesses zweiter Frau:



Lina war immer noch frisch und rosig, sie trug mit Stolz ein Kind unter ihrem Herzen. Aber Ahnung zog durch ihre teure Seele und sie sprach mit mir: “Lieber Mann, ich werde sterben!" Und ich Tollkühner mußte sagen: “Herzenslina, geh!" O weh, o weh! “Ich habe keine Freudigkeit, ich bin glücklich bei dir und möchte gerne bleiben." “Liebes Herz, nur Gehorsam verlangt Jesus - nichts anderes - Freude wirst du bei ihm finden." Und wir wurden still - und meine Lina ging: Weihnachten 1854 war da; wir hatten im Waisenhaus ein schönes Fest, Lina traktierte die Gäste mit Chokolade, glänzenden Augen, roten Wangen und hinschmelzender Liebenswürdigkeit.  Da kam ihre Stunde. Die lieben Gäste zogen ab und wir in die Kammer. Es war ungewöhnlich, ein Frost schüttelte die Mutter, die Augen leuchteten bang und selig.  Nach drei Stunden gebar sie um neun Uhr einen großen schönen Knaben wie eine Heldin, sprach noch freundlich mit der Hebamme, dankte Gott mit lauter Stimme für die erfahrene Hilfe und Gnade - wurde blass und kalt, bei klarem Kopf. Todesschweiß und Todesschwäche dauerten nicht lang, dann war's still. Und meine süße Engels-Lina ist selig heimgegangen.


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DS GLÜCK ISCH FASCH GÄNG GRATIS

Books on Demand 2007


ISBN 978-3-8334-6769-1

Vergriffen

auch als 4 CD–Hörbuch:

Fritz Widmer liest seinen Roman

DS GLÜCK ISCH FASCH GÄNG GRATIS


Zytglogge Verlag 2007


ZYT CD 4307

Bestellen bei Karin Widmer


Nachdem meine letzte CD von 2000 „Wo der Himu no gnue Platz het“ im Untertitel „Grossvaterlieder“ ankündigte, (‚Pensionierte-Boogie’, ‚Em Grossätti sy Strouhuet’, ‚Die nöie Stimme’, ‚Lied für d Ching wo hüt gebore wärde’, ‚Zwölften Oktober’ und andere) fiel mir eines Tages im Oktober 2003 ein, ich könnte auch eine Reihe von Grossvater-Geschichten schreiben, eine lockere Reihe, die sich zu einem Roman zusammenfügen liesse. Da ich gerne Briefe schreibe, wählte ich hier die Briefform. In der sechsten Fassung, die in Mundart umgesetzt wurde, verwandelte ich dann die Briefe in Tonaufnahmen.

Das Buch hiess in einer frühen Fassung „Die Wasserfallmalerin“, später „Wasserfäll u Glungge“. Wasser ist ein durchgehendes Motiv; das Umschlagbild zeigt eine Meereswelle, ein Aquarell unserer Tochter Karin. Das Bild passt sehr gut zum zentralen Teil des Romans, dem Bericht über eine ungewöhnliche Atlantiküberquerung 1862

Das Buch erscheint im März 2007 bei Book on Demand, Gutenbergring 53, D-22848 Norderstedt, Deutschland. Kann in Buchhandlungen oder bei mir bezogen werden.


Klappentext:

Ein Grossvater beginnt seiner Enkelin Natalina Geschichten aus seinem Leben zu erzählen: Sie kann zwar kaum etwas davon aufnehmen, da sie noch gar nicht geboren ist, das heisst, nach der achten Geschichte kommt sie auf die Welt. Er vertraut einstweilen seinem Tonbandgerät an, was ihm bedeutsam scheint: seine Kindheit in ärmlichen Verhältnissen, die Überraschung, dass er eine zweite Mutter in Italien hat, die Entdeckung der grossen klassischen Musik, seine Erlebnisse in der Schule und im Militär, die Begegnungen mit Frauen, vor allem seiner späteren Ehefrau. Dazwischen Ereignisse aus seinem späteren Leben und – als Kontrast zu der heutigen Zeit, die uns das Leben allenthalben so erleichtert – die unheimliche Geschichte einer 38-tägigen Überfahrt nach Amerika im Jahr 1862, die der Urururgrossonkel in einem langen Brief beschreibt.

Der Berner Troubadour Fritz Widmer hat mit „Ds Glück isch fasch gäng gratis“ nach „Gluscht u Gnusch u Gwunger“ und „Ryter unger em Ys“ seinen dritten Mundartroman geschrieben. Eines der Hauptthemen ist das Glück in seinen verschiedenen Erscheinungformen, auch das Glück der Gewissheit, dass wir nicht von nirgendwo herkommen und dass auch nach uns jemand unsere Persönlichkeit, unsere Arbeit und unsere Gedanken weiterträgt.


Titel der einzelnen Kapitel:

Elfachteltakt
D Eltere
Entdeckige u Veränderige
Di italiänischi Mueter
Lose u Läse
En abverheiti Bschysserei
E gfröiti Begägnig im Militär
Yakgschichte
Natalina
Ds Glück
Der Tannzapfetag
Musig
Maria
Glungge u Wasserfäll
Laura
E Reis uf Amerika 1862
Vo Illusione, Schnägge u Esle
I der Louene
Angelina
Santorin


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Das erste Kapitel


Elfachteltakt

Es cha passiere, dass me mit öpperem zämehocket u mit ere Mischig vo Mitleid u gönnerhaftem Verständnis über anger Lüt redt u seit „so nen alti Frou“ oder „en eltere Maa“ u plötzlech chunnt vo töif ungerueche e Chlupf u müpft eim u chüschelet: „Du bisch ja gopferdeli sälber scho elter als die, wo d über se redsch!“ U de gseht me dene, wo me mit ne zämehocket, aa, dass si grad ds Glyche wie säge , u de seit me’s sälber u nimmt sich vor, mit wöll nümme, u de chöme so Sätz wi „Jä gäll, mir sy o nümm sibezgi“ oder „Früecher sy mer no jung u hübsch gsi – jetz sy mer nume no warm aagleit“ und de macht me no einisch „hmhm“ u probiert ds Thema z wächsle.
Es gäbigs Thema sy Grossvattergschichte. Grossätti wirden i ersch, we du uf d Wält chunnsch, Natalina, im ne Monet. E Zyt lang han i dene Gschichte über Grossching zimli glängwylet zueglost, jetz gäng wi ufmerksamer. U i paar Wuche chan i de sälber mitrede. Wi elter dass me wird, umso meh gseht me dürhar d Widersprüch u d Paradox. Zum Byspil: Me wird gäng wi langsamer, nimmt sech nume no zwo, drei Sache am glyche Tag vor, u glych het me ds Gfüel, d Zyt loufi gäng wi gleitiger. „Eh, es isch ja scho wider Aabe.“ Drum han i mir öppis Bsungers vorgno. U nid nume vorgno: Jetz fan i nämlech grad aa. I verzelle dir paar Gschichte us mym Läbe. Rede se da uf die Mini-Disc. I ha meh als mys halbe Läbe mit Mikrofon z tüe gha, u vori, won i eis ha uspackt u zämegsteckt, sy mer plötzlech ganz e Huufe Erinnerige cho, bis wyt zrügg. Im Momänt chan i mir nüt Schöners vorstelle als dervo verzelle: Gsichter touchen uuf, es Gsicht vom ne Meitli, es Ching, wo mit syr Mueter us Dütschland i üses Dorf gflüchtet isch u denn het usgseh, wi we alles, was in ihm wider läbig isch worde, langsam us syne Ouge aafieng usestrahle. My Grossvatter, wo meischtens eis Oug fasch ganz u ds angere halb zueddrückt het. Oder i gseh wider en offeni Wunde i myr Hand, won i mi ghoue ha, schmöcke d Chuscht vom Bluet, won i ha abgschläcket, gspüre Schmärze u gspüre, wi si langsam ufghört hei. I ghöre wider Lieder, wo tagelang i mir umegsürmlet sy: „Stägeli uf, Stägeli ab, juhe!“ oder „Nach em Räge schynt d Sunne, nach em Briegge wird glacht, uuli uuli hopsassa ...“ Der scharf Gruch vo Rossschweis u däm, wo d Ross bbyslet u bbollelet hei, de ds Ryte dür d Wüeschti vo New Mexico u d Kaktüsser vom Llano Estacado i de Büecher vom Karl May; der Zouber vo de frömde Sprache, Änglisch, Italiänisch, Spanisch ...
Und de schiebe sich ou Gedicht uf en inner Bildschirm oder wi me däm wott säge. Öppe das:

Das Leben vergeht wie ein Blitzstrahl,
Dessen Glanz kaum so lange währt,
Dass man ihn sehen kann.
Oh du, der du beim vollen Becher sitzest und nicht trinkst,
Oh, sage mir, worauf wartest du noch?

Und i säge äääh, Li-Tai-Po, du alte chinesische Suufdichter, das isch nume ei Aasicht unger vilne. Won i bi zwänzgi gsi, het’s mi bis zinnerscht yne ghudlet ab dyne Värse, ou wenn i nid chinesisch cha un i di nume i der dütschen Übersetzig ha lehre kenne u sytewys uswändig glehrt ha. Hütt bisch mer wider ygfalle un i mues säge: Denn bisch allwä zimli bsoffe gsi, wo das hesch ddichtet. Oder es git z China eifach langsameri Blitze. Nenei; ender: Wär bsoffe isch, merkt eifach lang nid, was er gseht. Oder du bisch denn no drümal jünger gsi als ig jetze. Nähm mi wunger, was du mit sibezgi ddichtet hättsch. U zwüsche dreiezwänzgi u sibezgi cha me würklech no mänge Bächer kippe. U lehre, dass währet em Warte ou öppis cha passiere, wo eim fröit.
I fa einisch aa bi nächti, bi däm Konzärt, wo dyner Eltere mitgspilt hei. I hocke gärn vor ere Musig, wo live gspilt wird, wi me däm hütt seit, u gäng wi ugärner vor emne Radio, wo d Musig dür ne Lutsprächer chunnt. Dy Vatter, der Stefan, spilt Bass, dy Mueter, d Laura, Gyge. Hätt i nächti myner Ufnahmegrät bi mir gha, so hätt i wahrschynlech öppe das dry yne bbrümelet: Liebi Natalina! Schad, chan i nid zeichne wi d Maria, dyni Grossmama. Die het gäng es Skizzebuech bi sich, we si i re Gsellschaft vo Lüt isch, wo si weder ma rede no rächt lose. Ou we si ungerwägs isch, natürlech. Gly wärde di erschte Zeichnige vo dir i ihrne Heft uftouche. Jetz verzellen i halt. My Reportage chasch de lose, we s nache isch, i zäh Jahr, oder später.
Die Tänz vo Rumänie u Bulgarie u Griecheland – das isch öppe no Musig! D Melodie schlyche i üs yne, u mir lö se gärn yne, wehre se nid ab. We si schnäll sy, gusle si üs i de Bei; we si langsam sy, strychle si üs u tüen is wohl. Das chlefelet u rumoret u schluchzet u jutzet u singt. Dy Mama rysst der Boge vo der Gyge u luegt der Bassischt aa. Dä spilt wyter, überbrügget mit emne Solo zwe Täkt. Jetz setzt si der Boge wider uuf, zieht d Ougsbrauen obsi u luegt uf sys Griffbrätt, de uf ihres u fätzet wider druflos. Si lächlet. Ihres Gsicht entspannt sich, trotz em irrwitzige Tämpo.
Du ligsch oder schwümmsch i ihrem Buuch inne, u we du der Elfachteltakt probiersch mitzstrample, so hesch allwä paar Schwirigkeite. Dreiviertel, wi bi däm Tanz vorhär, das chasch scho. Um di ume isch es dunkel, dämmerig rot vilich, aber i dänke, du gniessisch die Musig u das Hin-u Härbuttele i dym füechte Näscht. Jetz ds Akkordeon. D Sibylle spilt, ihri Finger zucke u zable über d Taschte, u jetz haltet si plötzlech e Ton lang uus, währet di angere wyter i ihrne Rhythme u Melodie umepurzle u renne u flüge.
I zwöi Jahr üebe du und ig de zäme Wörter. Stogliwörter, sägen i de dene.

Elfachteltakt‘.
‚Der zwöiezwänzgischt Dezämber‘. Das isch dä Tag, wo dy Geburt fällig isch, im ne Monet.
U ‚Chuchichäschtli‘: Eis vo de Wörter us dere Zyt, won i myner erschte Wörter ha versuecht nachezrede. Denn het’s no keiner Chüelschäft ggä. Im Chuchichäschtli, so stellen i mir vor, hei d Lüt der Anke, d Milch, ds Fleisch u angers ufbewahrt, Züüg, wo i der Wermi rasch wär verdorbe. I gseh no so nes Chuchichäschtli vor mer i der Burehuus-Chuchi vo myr Tante; mir isch denn ufgfalle, dass es a der schattigschte u also chüelschte Stell vom Huus isch gsi.

Später einisch, we du das losisch, was i da rede, ghörsch u bruuchsch du angeri Wörter, wi ‚Akzeptanz‘, ‚Paradigmenwechsel‘ und ‚Dekonstruktion’, aber mir löh die ruehig i der Zuekunft warte, bis du zu ihne chunnsch, u lose mir lieber der Musig zue. Wahrschynlech sy di drüü u vil angeri Wörter, wo hütt so Mode sy, denn bereits verschwunde u es git nöji.

D Laura u d Sibylle spile Gyge, di einti zuesätzlech Mandoline, di angeri Akkordeon, de der Stefan, dy Vatter, Kontrabass, der Toni Flöte, Klarinett u Taragot, der Franz ds Zymbal. Si sy dir de wahrschynlech alli zimli vertrout u bekannt, we du se ds erschte Mal aaluegsch. Öppis i dir inne seit de: „Ah, du bisch dä, wo albe so luschtig dudlet!“ Oder: „Ja, Mama, di han i gäng am beschte ghört. Nid nume mit de Ohre, nei, ou dür e Buuchnabel u dür d Zeeje het dy Gyge gsunge u mi gchutzelet! Soo schön! I wett ou so chönne spile!“

I bi alt. Tanze man i nümme. Nümme mit de Bei. Im Chopf tanze Bilder, Gedanke u Erinnerige umenang u myner Finger tanze ou. Es Tischklimpere.

I stelle mir vor, öppe i zwänzg Jahr masch das lose, was i da verzelle. Denn bin i nümm am Läbe oder höchschtens es nüünzgjährigs, langsams, chyschterigs Mannli, wo en Umgäbig suecht, won es sich no einigermasse deheime vorchunnt drinn.

Dy Mama wiegt sech im Takt u i ihre drinne buttelisch du langsam hin u här und i wünsche dir, dass du die Musig i di ufnimmsch. Si ghört ja zu deren Art, wo me
gärn lost u wo derwärt isch, dass si eim es Läbe lang begleitet. I vier Jahr bringen i dir de Lieder by. D Tön u d Melodiie hesch alli scho i dir. Süsch reiche mer se de us dyr Erinnerig vüre.


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Unverrückt

Eigenverlag 2002
Vergriffen

PDF Version zum download

ISBN 3-908152-14-3





Inhaltsverzeichnis

Biografische und alltägliche Notizen
  
Notizen zu Mani Matter 1974/1982/2002
Unverrückt
Von schönen Momenten und Mozart
Beissen
Sommer
Winter
Der Traum vom Nichtmehrfliegenmüssen
Dramenbruchstücke
Im Finstern
Der Knecht
Der Streik des Rektors
Suchen
Das kleinste Zimmer
Hauchfein
Festival (I)
Festival (II)
Die Verwörterung der Welt


Fantasiegeschichten

Der Begleiter
Steigen
Fallen
Das fremde Lied
Der Mann mit acht Fingern
Legende von hinten
Der Taxidermist
Das Ende einer Vorstellung

Zwei Mundarttexte

Donschtigmorge
E Predig über Humor und Heiterkeit



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Der Zier-Eremit

Autorinnenverlag Bern 2001


ISBN 3-905110-19-9



Klappentext:

Den Einsiedlertrieb – und sein Gegenteil – hat Fritz Widmer bereits in einigen Liedern, vor allem in „Gloubsch wider a besseri Zyte“ beschrieben. Das Thema hat ihn aber immer wieder beschäftigt, und wie seine früheren Romane ist auch der Zier-Eremit aus dem Wunsche entstanden, etwas zu schreiben, das weiter ausgreift und verknüpft werden kann zu einem grösseren Ganzen, als dies in einem Lied möglich ist.
Die Geschichte von Gerhard Grunder, einem mittelmässig erfolgreichen Maler und Zeichner, beginnt in den Bergen. Er ist grosser Bewunderer der Mönche, die das berühmte „Book of Kells“ schufen, und möchte selbst in einem Experiment etwas ähnliches machen. Sein Versuch, durch einen mehrwöchigen Aufenthalt in der Einsamkeit seiner Arbeit und seinem Leben eine neue Richtung zu geben, misslingt ihm, denn der Zufall führt ihn ausgerechnet in dem abgelegenen Gebiet mit Menschen zusammen, die sein Leben nun in recht unerwartete Bahnen lenken. Zunächst wird er „Zier-Eremit“: Eine Mischung aus Seelsorger, Hauslehrer und Geschichtenerzähler in der Familie eines ehemaligen Schulkameraden. Dann überstürzen sich die Ereignisse. Ob die Neuorientierung wirklich gelingt, zeichnet sich erst gegen Schluss im irischen Exil ab.


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No einisch aafa

Zytglogge Verlag 2000


ISBN 3-7296-0606-9


Wort zum nöie Tag

Am liebsten stelle ich mir Fritz Widmer als Fährmann vor, der er auch im realen Leben manchmal ist. Mit jedem seiner Texte lädt er uns ein, als willige Passagiere in seine Schriftsteller-Fähre zu steigen. Langsam, nie überstürzt und doch beharrlich sucht er sich einen eigenen Gedankenweg durch den Strom der Wörter und Sätze. Nach einer kurzen Strecke entlässt er uns am andern Ufer mit einer freundlichen Frage, einer harmlos scheinenden Bemerkung, und plötzlich stellen wir fest, dass wir die Landschaft, die doch von drüben aussah wie immer, verwandelt sehen, in neuem Licht.

Widmers Kunst besteht darin, uns in den kleinen Geschichten, die er erzählt, überraschende Entdeckungen machen zu lassen. Er kennt die grossen Menschheitsfragen, aber er handelt sie nicht abstrakt ab, sondern bezieht sie schon im zweiten oder dritten Satz aufs Handgreiflich-Alltägliche, aufs Jäten und Geschirrabtrocknen zum Beispiel. Er ist einer, der das Widersprüchliche mag, das Stolpern ebenso wie das schwerelose Gleiten, die Unsicherheit wie den Erkenntnisschub. Er mag auch Kindergärten, lose Garnknäuel, Neuanfänge, Hausierer, die einen Leiterwagen voller Bücher hinter sich herziehen.

die Zärtlichkeit und Zartheit, die Widmer seinem kernigen Berndeutsch entlockt, macht die Lektüre kostbar; ich finde darin etwas von der stillen Magie – auch vom beiläufigen Witz, vom Alltagswissen – der alten Stundenbücher. Je länger ich lese und mitdenke, desto lieber vertraue ich mich einem solchen Fährmann an.

Lukas Hartmann



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Ornig

Mängisch tüecht es mi, Ornig, das syg öppis vom Schwirigschte uf der Wält, u drum tuen i so gärn Gschir abwäsche u abtröchne. De hat me wenigschtens fürnes paar Minute ds Gfüel, u d Befridigung, es syg wider öppis i d Ornig bbracht worde.
Eismal het my Frou abgwäsche, und i ha abtröchnet. Und i säge re: „Du, i ha grad es glungnigs Gedicht gläse, muesch mal lose:

Wenn Frauen sich
endlich weigerten
die kleinen Welten
in Ordnung zu halten,
wären Männer gezwungen,
es selbst zu tun.
Das würde sie davon abhalten
die grosse Welt
weiter in Unordnung zu bringen.“

„Wo hesch das här?“ fragt si. „Das isch uf ere Poschtcharte gsi, es syg vo eim , vo Helmut Seethaler heisst. Was düecht di?“„ Das stimmt natürlich“, seit si u leit ds nächschte Täller uf ds Tropfbrätt.
I sälber ha i myr Fantasie zyletewys nätti Manne gseh Chäller ufruume, Bode fäge, Zimmer putze, Chleider flicke, Chinderfudi tröchne, Garte jäte u ha tänkt: O je, stimmt äch das, isch es nid e chly z eifach?

„Weisch“, seit my Frou, „We du dir überleisch, wi angers d Manne wärde, we si Husmanne sy – es git settig, die hei richtig Fröid dranne, u die gseh ou ganz angers uus, u die sy würklech so, so fridlech u....Weisch, we du dir überleisch, dass d Manne i vilne Bruefe nüt angers wei als Karriere mache, u die Karriere vo de meischte Mann isch nume i settigne Bruefe müglech, wo d Wält kaputtmache, we me sich’s gnauer überleit – de het er scho rächt. D Froue, was die mache i ihrne chlyne Wälte, das het mit em Gägeteil z tüe, mit Läbe erhalte.
D Manne hei eigetlech es schlächts Gwüsse, dass si im ne Bruef müesse schaffe, wo so vil kaputt macht, ou we’s vilich am angeren Ändi vo der Wält isch, u we si einisch befreit sy vo ihrer Karrieresucht, de sy si ou erlöst vo ihrem schlächte Gwüsse.“

„Ja, eh..“ han i gseit. Drufabe han i fasch zärtlech ds nächschte Täller gno u s abtröchnet u i Schaft gstellt.


Aus „No einisch aafa“ (S. 11/12.)

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Änet em Zuun

Zytglogge Verlag 1997


ISBN 3-7296-0555-0


Wort zum nöie Tag u Gedicht

Wenn wir am Morgen beim Zähneputzen, beim Kaffetrinken bei der Fahrt zur Arbeit das „Wort zum Tag“ im Radio hören, plätschert manches an uns vorbei – doch plötzlich trifft uns ein Satz, eine Überlegung, ein Erlebnis, die uns nun durch den Tag begleiten wie Musik oder wie eine Farbe, die alles prägt. Wie gut, wenn man dann am Abend nach getanem Tagewerk nochmals darauf zurückkommen kann, nicht mit dem Ohr diesmal, sondern mit den Augen bei den Worten zum Tag in Buchform.
Nun spricht uns anderes an, ermöglicht einen Blick zurück und einen Hoffnungsstrahl auf den nächsten Morgen. In diesem Buch stehen lauter Begegnungen mit ihm, dem Schriftsteller Fritz Widmer, die uns oft nachdenklich und doch meist fröhlich stimmen. Höhepunkte sind für mich das Sokrates-Gespräch und der jodelnde Grossvater Fritz in Irland. Doppeltönig,ernst, aber auch witzig sind die eingestreuten Gedichte. Sie erinnern an den Chansonnier Fritz Widmer, der es wie kein zweiter versteht, ‚im Volkston’ zur Gitarre hintergründige Geschichten zu singen. In der ‚Ballade vo däm, wo nie zueglost het’ gelang es ihm, mit dem Singen einer Strophe zu verhindern, dass einem „e Stei uf e Gring“ fiel. Heute baut er mit denselben Steinen Brücken über unsern Tag, die den Blick freigeben, über alle Zäune hinweg, auf den Abgrund ebenso wie auf die ziehenden Wolken, vor allem aber auf den Mitmenschen.

Ruth Bietenhard



Gonfitüre a’r Türfalle

We me hinger emne Outo här fahrt, cha me mängisch Sätz läse, wo ar Rücksyten ufgchläbt sy, Dümmeri u gschyderi. Es Byschpil für die erschti Sorte heisst öppe:

„Gschwinder , gschwinder,
s git zvil Chinder!“

Der zwöit Satz isch ender vo re bruuchbarere Sorte:

„Haben Sie Ihr Kind heute schon gelobt?“

wo üser Ching no Ching sy gsi, isch dä Spruch no nid hinge a den Outo gchläbt. I denn ou gfunge, Ching um sich ume ha, das syg zwar öppis Schöns u Bsungers, aber se erzieh – das het mi so schwirig tüecht, dass i vor luter Verzwyflig afe einisch das Wort ‚erzieh’ verdrängt u für sinnlos erklärt ha. I ha öppe gseit: „Erzieh cha me d Ching sowieso nid, me cha höchschtens mit ne läbe.“ U mit ne läbe heisst, so mit ne zämeläbe, dass si ou gärn läbe. U da derzue ghört wahrschynlech das, wo i däm Spruch ‚loben’ heisst, rüeme, ne zeige, dass me se gärn het.

Erzieh? I gloube, i de Ching innen isch öppis, wo se sälber erzieht oder in e Richtig zieht, wo mir Eltere nid so rächt drüber Bscheid wüsse, vor allem wil mir mängisch no z fescht mit üser eigete Richtig beschäftiget sy u vilich sälber ou wetti globt wärde.

Heit dir Öies Ching hüt scho grüemt?

Es git en Art Längizyti, wo me re eigetlech e gnauere Name müessti gä. Si überfallt eim öppe denn, we men elter wird u d Ching nümme deheim sy. Es Gfüel, me heig zweni mit ne zämegläbt, zweni ihri Läbesrichtig wahrgno, z vil numen ihrer Mängel u Fähler gseh. U mängisch wünscht me sich, me hätti’s früecher gmerkt, denn wo si no Ching sy gsi u ganz naach bi eim, äbe so naach, dass mir vor luter Wytsichtigkeit d Neechi nid gäng gspürt hei.

Eine, wo das aber gspürt het, isch der irisch Dichter Seamus O’Neill. Hie sys churze Gedicht: ‚Süessi Gonfitüre’:

A der Türfalle
isch chläberigi
süessi Gonfitüre gsi.
Aber i ha der Erger
wo i mir ufgstige isch
abegschlückt,
will i a dä Tag ddänkt ha,
wo de die Türfalle
glänzig u suber wird sy,
u die chlyni Hand
nümme da.

(Aus „Änet em Zuun“, S.85/86)

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Ryter unger em Ys

Zytglogge Verlag 1988


ISBN 3-7296-0301-9



Der ebenfalls mit einem Buchpreis ausgezeichnete Roman ist berndeutsch, enthält aber auch hochdeutsche Passagen, Briefe und Dialoge. Mit seinen sechs Hauptpersonen enthält er sechs verschiedene Sprachstile, drei berndeutsche, drei hochdeutsche. Die berndeutschen gehören drei verschiedenen Altersstufen an: Grossmutter, Vater und Tochter unterscheiden sich in ihrer Ausdrucksweise. Die erste Jugendfreundin Sigrid (im Rückblick), die Mutter, ebenfalls eine Deutsche, und die in schlechte Gesellschaft geratene Irene reden alle ihre eigene Sprache. Der Roman ist formal anspruchsvoll, ein Experiment, hat wahrscheinlich nicht den besten Titel – „Näbenang u mitenang u dürenang“ wäre geeigneter gewesen, hätte sich aber dem Titel des ersten Romans zu sehr angenähert.

Der Titel geht auf das Gedicht „Der Ritt über den Bodensee“ von Lars Gustafsson zurück.

...die Spannung zwischen Hochsprache und Mundart einerseits, zwischen den drei verschiedenen Sprachformen anderseits verhindert das Berndeutschtümelnde, das Mundartliteratur zu oft anhaftet. Dazu kommt die Thematik: Widmer legt seinen Menschen Sätze in den Mund, stösst sie in Diskussionen hinein und lässt sie in Situationen zappeln – was zu viel Komik, versponnenen Assoziationen, handfesten Argumenten und ausschweifenden Phantasien führt.
Selten ist es tiefe Philosophie, die den Protagonisten abverlangt wird. Meist handelt es sich um Dinge des „täglichen Lebens“, Freuden, Leid, Erlebnisse und Wünsche. Darum hat es ihre Sprache auch leicht, auf dem Boden zu bleiben, ohne dass sie Widmer auf eine Gassenebene zwingt.
Fritz Widmer hat mit seiner Geschichte von einer Familie zwar weniger thematisch als literarisch ein Experiment gewagt, das gelungen ist. Offenbar ist es möglich, Hochsprache und Dialekt so zu verbinden, dass beide davon profitieren: wie viel Wortwitz, Komik und Ausgelassenheit sich im guten Ergebnis äussern, zeigt sich bereits auf den ersten Seiten.

Hans-Ulrich Grunder



Banal? Sicher. Widmers Buch ist, von der Handlung her gesehen, banal; es dreht sich fast nur um Alltägliches, jede und jeder könnte hier und heute Ähnliches erleben, erfahren, beobachten, beachten.
Aber noch ist da der Reiter unter dem Eis, von dem im Titel gesprochen wird, ist diese andere Realität, jene, die sich nicht in den bewussten Formulierungen der Sprache allein ausdrückt, sondern „zwischen den Zeilen“ sich bemerkbar macht; nennen wir sie Gemüt, Gefühl, Empfindung – das, worüber man eigentlich nicht reden kann. Sie, diese andere, dunkler gefärbte Realität, lenkt uns ja auch, anders wohl als der Verstand, von ihr merken wir aber oft erst hinterher, wie wichtig sie für uns war und ist und wie wirksam. Widmer lässt das einfliessen in seine Geschichten (Geschichten, die alle miteinander verknüpft sind) , und zwar ohne viel Worte; er deutet nicht, was mit den Menschen seiner Erfindung in dieser Hinsicht geschieht, er lässt es bloss mitschwingen, lässt es die Menschen tragen, manchmal, und manchmal aufstören, als ein nicht zu analysierendes Geheimnis des Lebens, als Ahnung, als ungenutzte Möglichkeit mitunter, die Lebenshälften zum Lebensganzen zu machen. Schön und behutsam drückt sich das etwa aus in Martins zwei Liebesgeschichten: In der des jungen, zaghaften, schwerfälligen Burschen mit seiner grünen und etwas angestrengten Verliebtheit und in der des Mannes, der sich ohne Übereilung, dem inneren Kompass folgend, dem er vertraut, zur reifen Bee führen lässt. In der Ehe mit Bee ergibt sich eines Tages, dass Martin den Haushalt übernimmt; da steht dann der schöne Satz: „Ds Näbenang isch vo viu es Mitenang gsi, aber de ou öppe gägenang und ungerenang u überenang, bis es de doch gäng wider isch es Fürenang worde, dank ihre, meischtens.“

Charles Cornu


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Gluscht u Gnusch u Gwunger

Zytglogge Verlag 1982


ISBN 3-7296-0145-8


Als CD im Radiokiosk erhältlich.
Gelesen von Rahel Hubacher















Der Roman, eine Art Lebensbilanz – in zuweilen sehr direktem Berndeutsch – einer Dreiundzwanzigjährigen, war ein Überraschungserfolg, brachte es zu einem Buchpreis des Kantons Bern, vier Auflagen, einer vollständigen Lesung am Radio und unzähligen Briefen. Heinrich Böll soll einmal gesagt haben, nachdem er zusammen mit seiner Frau Salingers „Catcher in the Rye“ übersetzt hatte, er habe zuerst seinen eigenen „Catcher“ schreiben müssen, bevor er sich wieder anderm zuwenden könne. Was bei ihm das Buch „Ansichten eines Clowns“ ergab. Mein „Catcher in the Rye“ ist „Gluscht u Gnusch u Gwunger“. Dass ein Mann aus der Sicht einer jungen Frau schreibt, ist nicht neu, vor mir hat unter anderen bereits Rolf Schneider in seinem „Catcher“ nämlich dem wunderschönen Buch „Die Reise nach Jaroslaw“, die achzehnjährige Brigitte quasseln, reden und denken lassen.

...Aus dem „Gwunger“ wurde bald „Gluscht“, und zwar mit fortschreitender Lektüre, „Gluscht“ nach Widmers Sprache, diesem jugendlichen, gegenwartsprallen Landberndeutsch. Ich verschlang das Buch und genoss es zugleich, in einer Art Sprachrausch. Fast glaube ich, dass die Figuren, die Handlung dieses Romans der Sprache entwachsen sind, wie wir jüngere und junge Bernerinnen täglich sprechen hören – hören wir sie wirklich? Widmer, der Liedermacher und Musikant, ist ein passionierter, genauer Hörer, der auch die Botschaft dieser gesprochenen Sprache vernimmt, eine Botschaft der Lebensbejahung wider Kaputtmacher und Overkiller, eine Botschaft der Kommunikation und Sinnlichkeit, wider ideologisches Blabla und tödliche Abstraktionen.
...Es bleibt auch so noch „Gnusch“ genug, glücklicherweise, und Kunst hat, nach Adorno, immer auch die Aufgabe, das Chaos wieder herzustellen. Im Falle von Widmers Mundart-Roman ist dieses Chaos und „Gnusch“ von einem grossartigen Reichtum der Sprache, der Stimmungen, der Figuren. In diesem Buch hat die Generation des Gurtenfestivals und der grossen Friedensdemonstration in Bern ihren literarischen Ausdruck gefunden. Dadurch wird es wichtig, auch für Leser der älteren Generation.

Kurt Marti


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Ds fromme Ross

Zytglogge Verlag 1974

D
as Buch ist Vergriffen.
Der Inhalt kann unten als PDF heruntergeladen werden.

ISBN 3-7296-0035-4





































Dem Fritz Widmer seine Chansons haben mit denen von Mani Matter und den anderen Troubadours eines gemein: Sie gehen dem Boden nach, sind nicht im Schmalz gekocht und haben plötzliche Pointen, die sich sehr langsam anbahnen. Sie fliegen nicht durch die Wolken, sondern sie bohren sich eher unter den Boden, dorthin, wo die Oberfläche aufhört.
In dieser Hinsicht sind die Widmerchansons fast die verzwacktesten von allen, weil sie so anfangen, wie bodenschtändige Choscht, so mit einem Schwyzerörgelibärndütsch, und dann bleiben sie erst noch fast bis zum Schluss rotbackig und chäch. Dr Wysel Gyr muss eine feine Nase haben, dass er diese Chansons nie in seine Sendung für Stadt und Land aufnimmt: Eingewickelt in ihre Volkstümlichkeit gehören sie nämlich nicht an einen Ort, wo man zufrieden bödelet und tänzelt. Wer gut hinhört, vernimmt aus ihnen folgendes: Die Tanzböden sind morsch; und der Mensch ist schwach, auch wenn er einen Bizeps hat; und in ihr leben Viele an der Schattenseite, und so manches ist eitel.
Fritz Widmer sagt Sachen, die heute und morgen drohend von der Kanzel herunter tönen, aber er packt sie so ein, dass nur die Merkigen sie merken, und er sagt sie liebenswürdiger, freundlicher, poetischer und trauriger als mancher Prädikant.
Je lustiger dieser Chansonier singt, desto ernster muss man ihn nehmen. Nein, man muss nicht. Man kann.

Klaus Schädelin






Inhalt


Ballade


Ballade vom Türeschletze

Ballade vo dr Gschoui

Ballade vom Pintefritz vo Toffe

Ballade vo däm, wo nie zueglost het

Ballade vo dr Houptüebig vo dr Fürwehr vo Oberglunggewil

Ballade vo dene, wo sech guet verstange hei

Ballade vo däm, wo unerchannt muff isch worde

Ballade vo dr bluetige Spur

Ballade vo de dreine Manne, wo si ga fische

Ballade vom Trubaduur, won e Ballade het gsunge



Dä vo de Fische

Dä vo de zwene Hornusser

Dä vom abbrönnte Pfarrhuus

Dä vo de Schwümm

Dä vo däm, wo bim ne fromme Ma es Ross gchouft het



Übersetzige


Servela

Dr Ma i dr Länk

Pass uf, liebs Mädeli

Dr muetig Fischer

D'Josefine mit dr Näimaschine



Us dr Kriminalgschicht


s Annemeieli vom Längebüeu

Ballade vom Bohnebedli

Die Verdächtige



Namitag-am-haubi-drüü-Blues

Abraham & CO.

Lied vom Fabriggarbeiter am Fliessband

Vo de guete und de schlächte Zyte

E Dichter schrybt es Buech

Lied vom Sundig

Sonett vom Veterinärstudänt Hansueli Röthlisbärger a syni Fründin, wo wäret de Summerferie z'Norwege obe ds verhaute vo de Meervögu mues studiere

Worterklärungen




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